Wann man sich von seinen Lieblingen trennen sollte – warum kontinuierliche Weiterentwicklung so schwer fällt
Das Spiel auf das ich heute eingehen möchte nennt sich Smallworld (mit dem Untertitel: „It’s a world of (s)laughter after all!“). Dabei handelt es sich um ein strategisches Territorialeroberungsspiel. Auf den ersten Blick gibt es Ähnlichkeiten zu dem Spieleklassiker „Risiko“, welcher unzählige Freundschaften auf den Gewissen hat, nur dass Smallworld (fast) ohne jedes Würfelglück auskommt und im Fantasygewand daherkommt. Die Kombination von verschiedenen Rassen mit einer besonderen Fähigkeit lassen unheimlich kreative, skurrile und immer neue Völker entstehen, die gegeneinander antreten: die „Flug-Zwerge“ bekämpfen dann die „Drachenreiter-Elfen“ und versuchen den „Händler-Skeletten“ nicht zum Opfer zu fallen.
Die Spielmechanik, die ich hier aber hervorheben will, ist eher unterschwellig eingebaut. Das Spiel ist darauf ausgelegt, dass ein gewähltes Volk im Spielverlauf immer mehr an Kraft und Durchsetzungsstärke verliert. Die Option ein neues Volk zu wählen ist aber mit gewissen Gewinneinbußen verbunden (in einer Runde sehr wenig Punkte bekommen). Besonders interessant finde ich den Aufstieg und Niedergang ganzer Völker, der hier erlebt wird (früher war das Spiel unter „Vinci“ bekannt) und die Entscheidung, wann es sich lohnt ein Volk untergehen zu lassen und abzuspringen, um sich ein neues Volk zu nehmen.
Die Kunst besteht darin den richtigen Zeitpunkt zu finden, um sich von seinen liebgewonnenen „Geister-Amazonen“ zu trennen, denn oft könnte man noch eine Runde mit dem „alten“ Volk mehr Punkte machen. Dadurch wird das Unvermeidbare aber nur etwas mehr rausgezögert und ein rechtzeitiger Umstieg auf die „Berserker-Halblinge“ würde sich langfristig mehr lohnen.
Zur Verdeutlichung hier eine Grafik die aus 100% gefühlten Daten besteht:
Was hat das mit Organisationen zu tun?
Bei einem Austausch zu Best Practice Ansätzen wird die Lösung der anderen Bereiche bestenfalls als genauso gut wie die eigene eingeschätzt und dann muss ja auch nichts umgestellt werden, oder? „Never change a winning system!“ Immerhin funktioniert die alte Lösung ja auch noch…vielleicht nicht mehr so gut wie damals, als sie entwickelt wurde, aber sicher muss nicht noch mehr Zeit in einen völlig neuen Prozess investiert werden oder der Prozess einer anderen Abteilung übernommen werden. Immerhin haben die Abteilungen damals individuelle Lösungen erarbeitet, welche passgenau für die eigenen Herausforderungen funktionierten. Wenn aber Zentralisierung der Prozesse ansteht und sich die schöne selbstgebaute Excellösung nun doch nicht durchsetzt ist die Enttäuschung jedoch groß.
Kommt euch dieses oder ein ähnliches Szenario bekannt vor? Vielleicht hat jemand das schon in Organisationen miterlebt? Nicht nur bei (vermeintlichen) Digitalisierungsprozessen und Change Projekten lässt sich so ein Verhalten beobachten.
Wieso halten wir so lange an bestehenden Lösungen fest?
Ich finde das Spiel lässt die Beteiligten den „Endowment-Effekt“ wunderbar erleben. Er besagt, dass man den Wert der Dinge überschätzt, die man auch selbst besitzt. Es gibt verschiedene Aspekte, die dazu beitragen, dass der Wert des bestehenden also „gefühlt“ mit der Zeit weiterwächst. Hier nur exemplarisch zu nennen, weil er aus meiner Erfahrung bei Change Prozessen oft eine Rolle spielt, ist der „IKEA-Effekt“ (der heißt tatsächlich so). Dieser besagt das der Wert höher eingeschätzt wird, wenn man selbst bei der Erstellung (bzw. Zusammenbau) beteiligt war.
Die positive Nutzung dieses Effektes findet sich bei Change-Weisheiten wieder wie „Betroffene zu Beteiligten machen“. Die Schattenseite davon ist nun aber, dass diese Lösungen nun auch nicht mehr so gerne losgelassen werden. Der Prozess, der heute mit Begeisterung und Inbrunst entwickelt wird, ist der veraltete Prozess der Zukunft.
Hinzu kommt der Umstand, dass Veränderungen auch immer eine Investition sind. Zeit, Geld, Ideen…all das muss aufgebracht werden und bei diesem Invest kommt die Verlustaversion zum Tragen. Kahnemann und Tversky haben es mit „Losses loom larger than gains“ zusammengefasst. Damit wird in der Psychologie und Ökonomie die Tendenz bezeichnet Verluste höher zu gewichten als Gewinne. Eine Daumenregel ist hier das Verhältnis von ca. 2:1. Das heißt eine Alternative muss also doppelt soviel Mehrwert bringen, wie sie an Einsatz (mein Verlust) erfordert oder anders ausgedrückt, jeder „Verlust“ tut doppelt so weh, wie jeder Gewinn. Der drohende Punkteverlust in der nächsten Runde schmerzt also so viel mehr, als die Aussicht mit den „Hügel-Orks“ so richtig aufzuräumen und daher wird dieser „Schmerz“ auch so lange wie möglich hinausgezögert.
Das erklärt auch warum Veränderungsprozesse so lange beworben werden müssen und der Mehrwert immer und immer wieder aufgezeigt werden muss, denn „nur“ für eine vergleichbare Lösung lohnt sich der Aufwand gefühlt ja nicht.
Und was können wir daraus lernen?
Dieses Spiel dient mir als Inspiration und hilft mir die Schwierigkeiten, die bei einer kontinuierlich lernenden Organisation auftreten, besser zu verstehen und mitzuerleben.
Gerade in meiner Rolle als externer Organisationsentwickler und Trainer bin ich emotional nicht so stark an die bestehenden internen Prozesse gebunden und mit Begeisterung dabei neue Lösungen zu finden und bestehende Strukturen zu hinterfragen. Ich glaube, dass viele Veränderungen aber eben auch damit einhergehen, dass von liebgewonnenen Strukturen und Prozessen Abschied genommen werden muss. Dieses Spiel hat mir dabei geholfen zu verstehen, wie es sich anfühlt, nicht auf der Seite der Veränderungsbegeisterten zu stehen und wie wichtig es ist, sich mit der angebrachten Wertschätzung von diesen Prozessen zu verabschieden.
Genauso ist es für mich bei der Erstellung von Ergebnissen in Workshops immer wichtig die Teilnehmenden zu inkludieren und einzubeziehen. Je nach Prozessschritt gilt es aber auch hier nicht über das Ziel hinauszuschießen. Eine lernende Organisation zu sein und kontinuierliche Veränderung zu leben erfordert auch immer, dass man seine (Prozess-) Lieblinge über die Planke schickt.
So und jetzt muss ich mich entscheiden, was ich mit meinen „Sumpf-Zauberern“ mache…vielleicht nur noch eine Runde warten oder wird es nicht doch Zeit für etwas Neues?...
Danke für eure Ideen, Vorschläge und Inspirationen.
In meiner Reihe "Was wir von Brettspielen lernen können..." stelle ich euch Mechaniken, Wirkweisen und Interaktionen von Brettspielen vor, die mir bei der Entwicklung von Methoden für Workshops und Seminare rund um die Themen moderne Führung, gelebte Werte und Teamarbeit als Inspirationsquelle dienen.
Ich möchte euch gerne in regelmäßigen Posts einen Einblick in meinen Spielefundus geben, wobei ich immer ein Spiel in den Fokus setze und dabei die Aspekte beleuchte, welche ihr sowohl bei diesem Spiel als auch in Organisationen findet.
Vielleicht erkennt ihr euch oder euer Team darin wieder...und vielleicht habt ihr auch etwas Lust bekommen, dieses Spiel selbst auszuprobieren. Beim nächsten Mal brechen wir mit dem Silodenken und schauen uns ein Spiel an, welches die Weltwunder der Antike wieder auferstehen lässt.